Spazierengehen

Spazierengehen

Und da war noch …

... die Sache mit dem Spa­zie­ren­ge­hen

Ein Beitrag unserer Kolumnistin C. Eißing

Im Corona-Lockdown sind wir alle zu Spazierprofis geworden – nie waren so viele Deutsche so oft zu Fuß unterwegs. Daher wird es Zeit für eine Frage ...

Am 6.Dezember 1801 schnallte sich Johann Gottfried Seume im säch­si­schen Grimma einen Tornister aus Seehundfell um und brach zu einem Spaziergang auf. Neun Monate später, im August 1802, kehrte er zurück; rund 6000 Kilometer ist er bis nach Sizilien und wieder zurück gegangen. Das soll noch ein 'Spaziergang' sein?
Herr Seume war jedenfalls dieser Meinung und schrieb auch gleich ein Buch dazu mit dem Titel 'Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802'.
Seitdem streiten sich die Gelehrten: Bis wann ist es ein Spaziergang bzw. ab wann ist es eine Wanderung? Was unterscheidet das Spazieren vom Wan­dern?

Fragen wir Wikipedia:
'Ein Spaziergang ist das Gehen zum Zeitvertreib und zur Erbauung.'
(Quelle: Wikipedia)

Und weiter:
'Wandern ist eine Form weiten Gehens von mehreren Stunden.'
(Quelle: Wikipedia)

Das mag ja zutreffen, aber ist das schon der Weisheit letzter Schluss? Wie viel ist genau mit 'mehrere Stunden' gemeint? Zwei, vier oder mehr Stunden? Und was bedeutet Erbauung? Für mich bedeutet es in erster Linie Entspannung. Aber kann man sich denn beim Wandern nicht entspannen?

Wikipedia hilft also nicht weiter. Fragen wir mal die Sportmediziner:
Ab welcher Laufgeschwindigkeit spricht man noch von Spaziergang, ab wann von Wandern? Aha, da gibt es genaue Werte.
'Wandern bedeutet eine Geschwindigkeit von mindestens 5-6 km/h.'

Aber kann man in dieser Ge­schwin­dig­keit nicht auch spa­zie­ren­ge­hen?

Fragen wir die Experten des Bun­des­mi­nis­teriums für Wirtschaft und Tech­no­logie, denn diese ver­öf­fent­li­chten im Jahre 2010 den ent­spre­chen­den For­schungs­bericht Nr. 591:
'Das Wandern ist Gehen in der Landschaft. Dabei handelt es sich um eine Freizeitaktivität mit unterschiedlich starker körperlicher Anforderung, die sowohl das mentale wie physische Wohlbefinden fördert.'

Wieder etwas gelernt. Aber gilt das nicht auch für das Spazierengehen?

Dazu schauen wir uns die Liste über die genauen Voraussetzungen des Begriffs 'Wandern' des o.g. Forschungsberichtes näher an:
1. 'Eine Dauer von mehr als einer Stunde'.
Das wird manchen Hundebesitzer erstaunen, der sich fragt, ob sein tägliches Gassigehen wirklich bereits eine Wanderung ist.
2. 'Eine entsprechende Planung'
Na bitte, jetzt treten endlich ein paar Unterschiede zu Tage. Im Klartext bedeutet dies also, dass man für eine Wanderung die Etappe vorausplant, Orte und Zeitpunkte festlegt, eventuell Proviant einpackt, ggfs. öffentliche Verkehrsmittel berücksichtigt usw.
3. 'Nutzung spezifischer Infrastruktur'
Jetzt wird es noch klarer. Der Wanderer läuft Wege, die ein Spaziergänger nicht gehen würde, z.B. Berge rauf und runter, schmale Pfade abseits der Hauptwege usw.
4. 'Eine angepasste Ausrüstung'
Und hier liegt, wie ich finde, der Haupt-Unterschied. Kein normaler Spa­zier­gän­ger zieht spezielle Wan­der­schu­he an, es mag Ausnahmen geben. Trittfestigkeit, Minderung der Verletzungsgefahr, Knö­chel­schutz – all das gewähren All­tags- oder Trai­nings­schu­he nicht. Auch in Sachen Bekleidung oder Rucksack stellt ein Wanderer tat­säch­lich andere An­for­de­run­gen als ein Spaziergänger.

Es gibt sie also doch, die kleinen Unterschiede zwischen Wandern und Spazierengehen. Und das ist auch gut so.
So mag Jede*r selbst nach Lust, Laune und Fähigkeiten entscheiden, wonach ihm / ihr der Sinn steht. Den eigenen Gedanken freien Lauf lassen, die Natur genießen und mal wieder richtig durchatmen ... all das klappt ganz wunderbar, Hauptsache man bewegt sich an der frischen Luft.

Unsere Kolumnistin

Claudia Eißing


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